31. März 2002

Ein optimiertes Schiedsrichterverfahren für Domainstreitigkeiten?

Stellungnahme des Vereins für Internet-Benutzer Österreichs (VIBE!AT)
Paragraphen-Zeichen

Die Nic.at Internet Verwaltungs- und Betriebs-GmbH [1] plant für Streitigkeiten aus .at, .co.at und .or.at Domains die Einsetzung eines schiedsrichterlichen Verfahrens (vgl. [2]). Dabei unterwerfen sich die streitenden Parteien durch Vereinbarung (Schiedsvertrag) dem Schiedsgericht, welches sodann über den Rechtsstreit verbindlich entscheidet. Nach Rechtskraft des Schiedsspruches ist dieser als entschiedene Sache anzusehen, über die auch vor ordentlichen Gerichten neuerlich nicht mehr entschieden werden kann. Bei schwerwiegenden Mängeln jedoch kann der Schiedsspruch aufgehoben werden.

a) Grundlegend begrüßt VIBE!AT dieses neue Verfahrensmodell für Domainstreitigkeiten. Unter Ausnutzung der automatisationsunterstützten Datenverarbeitung hat jedenfalls ein Schiedsspruch binnen drei Monaten ab Klagseinbringung zu ergehen. Dabei soll dem ersten Entwurf der Schiedsordnung nach ([3]) das Verfahren nach Klagseinbringung weitgehend elektronisch abgewickelt werden. Die hierdurch erreichte kurze Verfahrensdauer ist sicherlich zweckmäßig für die rechtssuchenden Parteien, um bei Stattgebung ihres Begehrens rasch Recht zugesprochen zu bekommen.

b) Begrüßenswert erscheint VIBE!AT auch die geforderte Fachkunde der Schiedsrichter. Im Entwurf einer Geschäftsordnung für das Board des Schiedsgerichtes ([4]) verlangt § 1 besondere Kenntnisse und Erfahrungen auf rechtlichem, kaufmännischem oder technischem Gebiet für die Schiedsrichter. Nur Rechtskundige mit einschlägigem Wissen des Domain- beziehungsweise Internetrechts und ausreichender technischer Sachkunde dahingehend werden eine adäquate Rechtspflege in diesem Zusammenhang gewährleisten können.

c) Praktische Bedeutung wird die mit einem stattgebenden, rechtskräftigen Schiedsspruch verbundene Löschung oder Übertragung der streitigen Domain erlangen. Bisher musste im Zuge eines Domainstreites vor einem ordentlichen Gericht zusätzlich der Antrag an Nic.at auf einen Wartestatus der streitigen Domain gestellt werden, mit dem Zweck, einen Inhaberwechsel während des schwebenden Verfahrens zu verhindern. Nun aber befindet sich die betreffende Domain während des Schiedsstreites im Wartestatus II ([5]), wodurch ein Inhaberwechsel nicht ermöglicht wird. Hier ist zweifelsohne eine Verbesserung zum bisherigen Verfahrensablauf erkennbar. Oftmals kam es durch einen Inhaberwechsel während eines Rechtstreites zu erheblichen Behinderungen der Rechtspflege. So musste zum Beispiel bei einem Begehren auf Unterlassung, wegen einer wettbewerbsrechtlich unzulässigen Gattungsdomain, gegen den alten Inhaber abermals Unterlassung gegen den neuen Inhaber begehrt werden.

d) Hinweisen möchte VIBE!AT allerdings auf ein Problem, das sich aus der Übertragung einer Domain "ohne unnötigen Aufschub" ergeben kann: Der neue Inhaber der Domain könnte nach erfolgter Übertragung unter Umständen Zugriff auf Inhalte von E-Mails erlangen, die noch für den vorhergehenden Inhaber bestimmt waren und erst nach erfolgter Übertragung gesendet wurden. Es sollte hier dem Fernmeldegeheimnis und dem Datenschutz des vorherigen Inhabers mehr Rechnung getragen werden, indem auch für E-Mails verwendete Domains erst nach einem bestimmten Zeitraum übertragen werden können oder aber für eine entsprechende Übergangsfrist ein Dritter treuhänderisch die E-Mails für diese Domain empfängt. Dieser Treuhänder würde sodann den entsprechenden Benutzern an sie adressierte E-Mails weiterleiten und Warnhinweise den Absendern kundtun.

e) Aus Sicht einer transparenten und nachvollziehbaren Schiedssprechung wäre eine im Internet abrufbare Datenbank aller Schiedssprüche, ähnlich der "Justiz - Judikatur" im RIS ([6]), wünschenswert. Domain- und Internetrecht haben eine sehr stark ausgeprägte Kasuistik an sich, was dem Richterrecht erhebliche Bedeutung für die Rechtsfortbildung zukommen lässt. VIBE!AT hält es daher für unablässig, eine Entscheidungssammlung mit in die Schiedsordnung aufzunehmen. Dabei wird keinesfalls der schiedsrichterliche Vorzug der Vertraulichkeit verkannt, doch sollten die Interessen einer breiten und öffentlichen Rechtsfortbildung Parteiinteressen übergeordnet werden. Mit einer entsprechenden Anonymisierung der Entscheidungen kann dennoch ein ausreichendes Maß an Vertraulichkeit gewährleistet werden.

f) In Frage stellt VIBE!AT die automatische Unterwerfung unter das Schiedsgericht mit Registrierung einer Domain. Nach Ablauf einer Testphase ist nicht erst eine Anrufung des Schiedsgerichtes bei Domainstreitigkeiten vorgesehen, sondern Domaininhaber wären für die Dauer der Registrierung an das Schiedsgericht gebunden, ohne der Möglichkeit einer Anrufung eines ordentlichen Gerichtes. Hier wäre dieser Inhaber gegenüber einem Dritten (kein Inhaber einer registrierten Domain bei Nic.at) benachteiligt, steht diesem doch wahlweise das Schiedsgericht oder ein ordentliches Gericht zur Erledigung des Rechtsstreites zur Verfügung. Das beiden Parteien gebilligte Interesse an Rechtschutz sollte jedoch ident sein, weshalb auch nach Ablauf der Testphase die Anrufung des Schiedsgerichtes nur für konkrete Domainstreitigkeiten vorgesehen werden sollte.

g) Der vorliegende Entwurf der Schiedsordnung sieht im Verfahren nach der Klagseinbringung im Punkt 7 vorrangig ein elektronisches Verfahren via E-Mail vor. Erst zweitrangig kann es durch die Vorlage schriftlicher Parteien- und Zeugenaussagen ergänzt werden. Die Möglichkeit der Anberaumung einer mündlichen Verhandlung liegt dabei lediglich im Ermessen der Schiedsrichter. Hier sieht VIBE!AT ein großes Defizit, denn der persönliche Verkehr zwischen Parteien und Schiedsrichtern muss für eine hinreichend genügende Überzeugung von Sach- und Rechtslage unabdingbare Voraussetzung eines Schiedsspruches sein. Bei aller Konzentration auf einen schnellen Verfahrensablauf binnen drei Monaten, so darf das unmittelbare Gehör der Parteien nicht unberücksichtigt bleiben, vor allem bei der Feststellung des Sachverhaltes. Insofern ist eine Erstreckung der Verfahrensdauer zur Ermöglichung einer mündlichen Verhandlung für VIBE!AT wünschenswert.

Abschließend stellt VIBE!AT die grundsätzliche Vorteilhaftigkeit eines solchen schiedsrichterlichen Verfahrens fest. Dem schnelllebigen Internet wird mit einem straff organisierten Verfahrensablauf in kurzer Dauer beigekommen. Zu wenig Bedacht genommen wird allerdings auf die Transparenz der Schiedssprechung [e)], die Gleichheit des Rechtsschutzes [f)] und das rechtliche Gehör der Parteien [g)]. Alle drei Punkte sind für die endgültige Implementierung des Schiedsverfahrens verbesserungswürdig und sollten jedenfalls überarbeitet dort Niederschlag finden. Richtet man nun noch ein erhöhtes Augenmerk auf die Verfahrensbausteine, ohne dabei allzu sehr von der Prämisse der kürzest möglichen Dauer geleitet zu werden, so tendiert diese Methode in Richtung eines Verfahrensoptimums.


Referenzen
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zuletzt aktualisiert: Sunday, 26-Mar-2006 10:49:32 CEST